Montag, 29. Oktober 2012

Beinahezusammenstoß in Steyregg, 2007

In meiner lockeren Folge von Berichten über Unfälle oder Beinahe-Unfälle, die durch Sicherungsanlagen verursacht wurden, berichte ich diesmal kurz von einem Beinahe-Zusammenstoß in Steyregg am 27. Februar 2007. Der zugehörige Bericht der österreichischen Bundesanstalt für Verkehr, Unfalluntersuchung Fachbereich Schiene ist offiziell elektronisch nicht mehr aufrufbar, kann aber hier noch als PDF geladen werden (oder per EMail bestellt werden).

Ich habe die Anlagen von Steyregg selbst mehr als 20 Jahre vorher aufgenommen, die wenigen Bilder davon sieht man hier. Gegenüber diesem Zustand sah das Stellwerk 2007 ziemlich anders aus, wie man an zwei Bildern im Untersuchungsbericht sieht:
  • Die mechanischen Weichenantriebe waren durch elektrische Antriebe ersetzt worden. Deshalb waren statt der entsprechenden Hebel (ein Madnerhebel und ein doppelstelliger Riegelhebel je Weiche) etwas kuriose Aufsätze auf der Hebelbank vorhanden, über die mit Knaggen die Weichen gestellt werden konnten.
  • Das ÖBB-Stellpult war durch ein VGS80-Pult ersetzt worden.
Die Abhängigkeiten im Schieberkasten waren aber gleich geblieben, und auch die spezielle Technik zum Festlegen der Fahrstraßen über eigene Magnete statt normaler Fahrstraßenblockfelder war noch immer in Verwendung. Und diese speziellen Magnete führten zu dem Beinaheunfall: Der Sperrstift des Magneten a/h war so weit abgenutzt, dass die Fahrstraßenknagge einer eigentlich festgelegten Fahrstraße vor der Zugeinwirkung zurückgelegt werden konnte. Dadurch konnte eine Weiche vor (oder sogar unter) dem fahrenden Zug umgestellt werden!

Im Stress einer Zugkreuzung bei voll belegtem Bahnhof hat das am 27.2.2007 der Fahrdienstleiter geschafft: Ein Personenzug, der eigentlich auf das freie Gleis 3 fahren sollte, fuhr dadurch in das durch einen Güterzug besetzte Gleis 1 ein. Der Lokführer erkannte glücklicherweise die falsch stehende Weiche und blieb nach einer Notbremsung etwa 70 Meter vor dem Güterzug stehen, sodass niemand zu Schaden kam. Die Sicherungsanlage hat aber "mit Pauken und Trompeten" versagt – genau die Aufgabe, die sie erfüllen sollte, hat sie nicht erfüllt.

Leider geht aus meinen alten Bildern und jenen im Untersuchungsbericht nicht hervor, wie diese Fahrstraßensperrmagnete genau mit den 5007er-Fahrstraßenschiebern zusammenwirken. Eventuell werden durch sie dieselben Pistone wie durch Blockfelder bewegt – es wäre dann allerdings erstaunlich, dass sie einem Verschleiß unterliegen, denn dann würden sie nur auf Druck beansprucht werden.

Die Schaltung ist offenbar (und sinnvollerweise) eine Ruhestromschaltung, denn in der angefügten Stellungnahme des BMVIT steht über die monatliche Prüfung (S.13):
Fahrstraße festlegen, Gleis und FF-Knacke – dann bei abgefallenem [!] Fahrstraßensperrmagnet das Rückstellen des FF-Knebels versuchen
Die Fahrstraßenfestlegung erfolgt also offenbar durch den abgefallenen Fahrstraßensperrmagnet – während bei aufgelöster Fahrstraße der jeweilige Magnet dauernd angezogen ist und daher unter Spannung steht.

Ergänzung  23.4.2015: Mir fällt ein, dass es hier noch eine Möglichkeit gibt, die auch die Abnutzung erklären würde: Der Magnet könnte nur bei umgelegtem Fahrstraßenknebel, also verschobenem Fahrstraßenschieber (oder Neutralschieber) in die Batterieleitung eingeschaltet sei, um in Grundstellung Strom zu sparen. Dann würde der Sperrstift in der Grundstellung nicht vom Magneten angehoben werden, daher auf dem Schieber aufliegen, und bei jeder Bewegung des Schiebers gäbe es dort einen minimalen Abrieb. Vielleicht ist das so zu erklären ...

Als Sicherheitsempfehlung steht im Bericht "Überprüfung aller baugleichen Fahrstraßensperrmagneten". Da diese Bauart aber in Österreich lt. ÖBB einmalig ist, war das eine "leere Forderung" (wobei allerdings die Anlagen in Bad Aussee zumindest ähnlich funktionieren müssen ...). Darüberhinaus wurde die ÖBB verpflichtet, dem Ministerium eine Planung für die Ablösung dieser Sicherungsanlage vorzulegen.

Darüberhinaus hat es dieser Vorfall bis in eine parlamentarische Anfrage geschafft, wo die Opposition wissen wollte, was da passiert war und wie gefährlich der Eisenbahnbetrieb in Österreich ist – was eben mit dem Hinweis beantwortet wurde, dass diese Bauart nur einmal in Österreich vorhanden ist.

Zuletzt werden die Fahrstraßenmagnete nun bei der monatlichen Inspektion geprüft, insbesondere natürlich, dass kein Zurückstellen der Fahrstraßenknagge bei abgefallenem Magnet möglich ist.

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